Auch in Organisationen ist den Wirkmechanismen von sozialen Systemen Beachtung zu schenken. Wer ist schon länger Teil der Organisation? Wer zeigt besonderen Einsatz? Wer bringt besondere Fähigkeiten für die Zukunftsfähigkeit der Organisation mit? Werden diese und andere Schlüsselfragen in Bezug auf die Menschen und ihren Platz in der Organisation übergangen, ist mit Konflikten zu rechnen, denn das System sucht automatisch nach Ausgleich, um die Ordnung wieder herzustellen.
Grundlagen der sozialen Ordnung in Organisationen
In Familiensystemen kann man sich den Wirkmechanismus der Systemprinzipien gut vor Augen führen. Mit der Geburt wird man Teil einer sozialen Rangordnung. Alle Familienmitglieder sind gleichwertig und haben das gleiche Recht auf Zugehörigkeit, allerdings verteilen sich die Rechte und Pflichten nach der Geburtenfolge. Das bedeutet, dass ältere Familienmitglieder Vorrang gegenüber jüngeren haben. Dies lässt sich auf Organisationen als soziale Systeme übertragen. Es geht um Bindung, Ordnung sowie den Ausgleich von Geben und Nehmen. Diese Spielregeln sind die innere Gesetzgebung für alle sozialen Systeme und damit massgebend für unsere Arbeit als systemische Organisationsberater:innen.
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«Für jeden Ausgleich gilt, Grosszügigkeit führt zu anderen Qualitäten von Beziehungen.»
(Insa Sparrer)
Manch ungeschriebene Regel wird von den handelnden Personen in Organisationen implizit berücksichtigt, wie beispielsweise oftmals die Kündigung der dienstjüngsten Mitarbeitenden in Krisensituationen vor dienstälteren. Ein explizites Verständnis für Systemprinzipien gibt es in der Unternehmenspraxis meist nicht. Welche Prinzipien also gilt es in Organisationen zu beachten? (vgl. dazu Renate Daimler et al.)
Prinzip 1 - Das Recht auf Zugehörigkeit
Grundsätzlich beginnt die Zugehörigkeit mit dem Eintritt und endet mit dem Austritt aus der Organisation. Aber auch innerhalb der Organisation ist die Zugehörigkeit zu beispielsweise Projektgruppen, Hierarchieebenen und anderen Teams zu beachten. Wer gehört dazu und warum? Nach welchen Kriterien werden Rollen und Funktionen besetzt?
In Veränderungssituationen speziell wächst die Angst, diese Mitgliedschaft zu verlieren, also nicht mehr zur Gruppe zu gehören. Das führt mitunter dazu, dass wir als Mitglieder verschiedener Systeme oftmals ganz unterschiedliche Spielregeln einhalten, selbst wenn diese von unseren individuellen Werten und Mustern abweichen. Diese Sorge ist tief in unserem Gehirn verankert und stammt aus einer längst vergangen Zeit, als die Zugehörigkeit zu einer Gruppe noch eine Frage des Überlebens war.
Wie tun wir hier miteinander? Welche Muster sind dominant? Ist Kritik möglich? Wie offen kann man auch heikle Themen ansprechen? Diese Fragen beschäftigen, wenn wir neu in eine Organisation eintreten und die geltenden Verhaltensmuster zu verstehen und zu durchdringen versuchen. Dies braucht Zeit und vor allem konkrete Erlebnisse, also Begegnungen.
Wer (künftig) dazugehört ist insbesondere in Veränderungssituationen eine treibende Frage und muss im Ernstfall mit einem durchdachten Personalentwicklungs- aber auch achtsamen Trennungsmanagement verbunden werden. Ein Mangel an Klarheit und Verbindlichkeit führt meist dazu, dass die Mitarbeitenden damit beschäftigt sind ihren Platz zu sichern, statt die Zukunft der Organisation. Zentrale Fragen in diesem Kontext sind:
Wer gehört dazu? Gibt es Subsysteme?
- Ist zeitlicher Vorrang anerkannt, damit nicht im Untergrund dafür gekämpft werden muss?
- Erfolgen Besetzungen nach transparenten und klaren, möglichst objektiven Kriterien?
- Werden Austritte fair und nachvollziehbar abgewickelt?
Prinzip 2 - Anerkennung der zeitlichen Reihenfolge
Die Dauer der Zugehörigkeit spielt eine grosse Rolle, wenn es um Verteilung von Rechten und Pflichten geht. Jedoch ist dies in Organisationen weniger augenscheinlich als in Familien.
Organisationen sind in der Regel auf Wachstum ausgerichtet. Die früheren Mitarbeitenden müssen hinzukommenden Mitarbeitenden, neuen Kompetenzen und dem Neuen an sich Platz einräumen. Damit sie das Fremde nicht abwehren, benötigen sie einen «Ausgleich». Damit ist keine finanzielle Entschädigung gemeint, sondern die Sicherheit, dass sie symbolisch die «Ersten» bleiben und damit gewissermassen Vorrang haben, sowie die Anerkennung ihrer bisherigen Leistungen für die Organisation. Die Würdigung des Bestehenden spielt daher eine bedeutende Rolle, damit ein Veränderungsprozess gelingen kann. Gerade in Zeiten zunehmender Digitalisierung, die Geschäftsmodelle auf den Kopf stellt und ein Umdenken aller erfordert.
Zentrale Fragen in diesem Kontext sind:
- Wie kann Bewährtes anerkannt und mit dem Neuen, auch einer möglichen Neuausrichtung verbunden werden? Genau hier setzt das aktuell vieldiskutierte Thema der Ambidextrie (Beidhändigkeit in der Führung) an.
- Wer hat in der Veränderungssituation etwas zu verlieren, wie kann Wertschätzung dennoch sichergestellt werden?
- Welche Mitarbeitenden sind schon wie lange dabei und können wertvolle Erfahrung einbringen, wenngleich sie hierarchisch nicht aufgestiegen sind?
- Haben wir ein Lohnsystem, das auch langjährigen Mitarbeitenden marktfähige Löhne bezahlt?
Prinzip 3 – Anerkennung der Leistung und des höheren Einsatzes für das Ganze
Neben der Zeitlichkeit spielen in Organisationen auch Leistung und Kompetenz eine Rolle für die Rangordnung. Wer hat welche Rolle und Verantwortlichkeit? Wem wird welche Rolle zugeschrieben? Wer ist Teil des Managements? Um ihre Stellung im System zu rechtfertigen, müssen führende Kräfte und bestimmte Rolleninhaber einen höheren Einsatz für das Unternehmen bringen und dafür auch anerkannt sein. Führung muss sich diesem Prinzip entsprechend fortlaufend «beweisen». Konflikte entstehen oft dort, wo andere im Hintergrund kompensieren müssen.
Insbesondere in Change-Situationen und in starken Wachstumsphasen müssen Mitarbeitende und Führungskräfte mehr Leistung erbringen als gewöhnlich. Dieser zusätzliche Energieaufwand muss honoriert werden, d.h. beispielsweise bei der Stellenbesetzung in Betracht gezogen werden, durch Prämien oder als Ausdruck der Wertschätzung, mit Worten, Ritualen oder Festivitäten. In Krisensituationen bildet die Wertschätzung der Vergangenheit den notwendigen Antrieb für die Zukunft.
Zentrale Fragen in diesem Kontext sind:
- Werden die erbrachten Leistungen den richtigen Personen zugeschrieben? Sind Leistungsträger sichtbar und wird ihr Einsatz honoriert?
- Gibt es Unklarheiten in der Hierarchie oder nicht wahrgenommene Verantwortungen, die im Hintergrund kompensiert werden müssen?
- Werden Erfolge gemeinsam gefeiert?
- Werden «Extrameilen» honoriert?
Entscheidend bei allen Ausgleichsleistungen ist, dass der eigentliche Ausgleich in der Anerkennung dessen liegt, dass überhaupt ein Ausgleichsanspruch besteht. In der ausgedrückten Wertschätzung liegt also die Kraft.
Wollen sie mehr darüber wissen? Dann kontaktieren Sie uns gerne!
Zum Weiterlesen: Basics der systemischen Strukturaufstellungen, Renate Daimler mit Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd, 2021.